Babybauch und Chemoglatze

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Gastbeitrag einer metastasiert schwangeren Krebspatientin

„Mama, ist deine Brust immer noch krank?“ Die Worte unseres Sohnes Matthis* ließen mich innerlich zusammenzucken. Ich nahm Matthis in den Arm und schloss meine Augen, um mich ganz auf ihn zu konzentrieren. Was sollte ich sagen? Ich wich der Frage aus und meinte nur: „Matthis, noch ist die Brust krank, aber sie wird wieder gesund werden…“ Matthis strahlte. Herrje, er war noch nicht einmal drei Jahre alt. „Reiß dich zusammen“, sagte ich zu mir selbst. Matthis löste sich aus der Umarmung, hüpfte fröhlich zu seinem Spieltisch, schnappte sich aus seinem Arztkoffer das Stetoskop und kam fröhlich zu mir zurück. „Mama, ich mache dich wieder gesund!“

Matthis wusste bereits, dass er einen Bruder bekommen wird. Ich war das zweite Mal schwanger. Matthis wusste aber auch, dass ich krank war…

Es war der 4.2.2015. An diesem Tag änderten drei ausgesprochene Worte einfach alles…

„Sie… haben … Krebs!“ Ich konnte den weiteren Worten der Ärztin kaum folgen, ich stand unter Schock. „Frau Röpe, Ihr Krebs ist äußerst aggressiv. Wir empfehlen Ihnen dringend, direkt mit einer Chemotherapie zu beginnen.“ Was? Mit gefasster Stimme stellte ich der Ärztin eine Frage: „Können wir mit der Chemotherapie nicht warten, bis unser zweites Kind geboren ist?“ Sie sah mich an, wog ihre Antwort gut ab und antwortete mit ruhiger fester Stimme: „Sie wollen doch Ihre zwei Kinder aufwachsen sehen, oder?“

Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich bereits in der 20. Schwangerschaftswoche. Es war für mich die schlimmste Erfahrung, die ich in meinem Leben je machen musste. Als die Ärztin meinte, dass ich Brustkrebs habe, brach für mich meine ganze Welt zusammen. Es änderte sich schlagartig alles. Ich hatte Todesangst. Angst, die ich kaum beschreiben kann.

Nach der Diagnose und dem Entschluss, eine Chemotherapie während der Schwangerschaft durchzuführen, war mein Kalender voll mit Arztterminen. Der Kleine musste ständig via Ultraschall kontrolliert werden. Vor jeder Ultraschalluntersuchung war ich sehr nervös. Aber jedes Mal sagte man mir „Alles in Ordnung, der Kleine wächst normal. Nichts Auffälliges zu entdecken!“ Bei der ersten Chemotherapie rumpelte unser Baby in meinem Bauch. Ich musste weinen, denn ich wollte das alles nicht! Trotz, dass ich es wollte! Das klingt verwirrend… Im Verlaufe der Behandlung kam nämlich die nächste Hiobsbotschaft: Der Krebs hatte bereits in die Leber gestreut. Hätte ich abgebrochen oder die Therapie nicht gemacht, wäre ich jetzt sehr wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Diese Zeit war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich wollte nur normal schwanger sein und diese Schwangerschaft genießen. Aber das Leben gab mir eine weitere Aufgabe. Nämlich in der schönsten Zeit des Lebens auch die schrecklichste Zeit eines Lebens zu ertragen.

Von der Chemotherapie während der Schwangerschaft war ich lediglich etwas schlapp. Mir fielen die Haare aus und ich wurde blasser. Ansonsten konnte ich zum Glück relativ normal den Alltag meistern. Emotional war ich auf der einen Seite voller Euphorie, weil ich mich so freute, dass es dem Baby so gut geht. Andererseits war ich voller Angst, ich plante zwischendurch meine Beerdigung weil niemand mir sagen konnte, ob ich das alles überlebe oder nicht.

Meine Ängste konnte ich kaum ertragen, aber mir blieb nichts anderes übrig, als stark zu wirken. Innerlich war ich am Boden. Äußerlich war ich gefasst, ich hatte ja auch schließlich noch unseren großen Sohn Matthis, dem ich keine Angst machen wollte. Es war extrem schwierig!

Mein Mann stand die gesamte Zeit hinter mir, war für mich da, fing mich auf, wenn ich wieder einmal zusammenbrach und Rotz und Wasser heulte. Häufig habe ich nach so einem Ausbruch das Gefühl gehabt, die Ängste schaden unserem Baby. Im Gegenzug habe ich dann für unser Baby gesungen, den Bauch sehr oft gestreichelt in der Hoffnung, er spürt es. Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass ich große Angst um ihn habe. Genauso oft habe ich ihm gesagt, dass ich mir sicher bin, dass er diese Prozedur übersteht. Dass er es schafft und unbeschadet auf die Welt kommen wird.

Mittlerweile ist Noah* 20 Monate alt. Er entwickelt sich ganz normal und erfreut sich an jeder Kleinigkeit, so, wie Kleinkinder es einfach tun. Die Freude, ihn jeden Tag sehen zu dürfen und mitzuerleben, wie er wächst und sich macht, ist sehr groß und manchmal weine ich sogar vor Freude.

Ich bin weiter in Therapie, allerdings nicht mehr in einer Chemotherapie. Nach Entbindung bekam ich noch 8x eine andere Chemotherapie, die mich körperlich kaputt gemacht hat. Ich konnte teilweise kaum essen, war absolut k.o. und lag viel auf dem Sofa. Zum Glück hatte ich genug Unterstützung für beide Kinder. Es war sehr schwierig für mich, meine Mutterrolle kurzzeitig abzugeben. Aber ich habe mich damit irgendwann angefreundet. Denn jetzt kann ich die Rolle wieder ausüben. Zwar bin ich noch in einer so genannten Antikörpertherapie (Herceptin und Pertuzumab), aber davon habe ich keine Nebenwirkungen. Diese Therapie bekomme ich auf unbestimmte Zeit alle drei Wochen und sie hält das mittlerweile gute Ergebnis. Und ich bete und hoffe, dass es genauso die nächsten mindestens 50 Jahre bleiben wird. Dass der Krebs still bleibt und sich nicht wieder ausbreitet.

Jetzt noch einmal zurück zu Matthis: So ein tapferer kleiner Junge, der meine komplette Veränderung mitbekam (von langen blonden Haaren zu einer Übergangs-Bob-Frisur zur Glatze), der niemals die Krankheit mit der Schwangerschaft in Verbindung gebracht hatte, der niemals dem Baby die Schuld dafür gab, dass seine Mama plötzlich krank war… Das rührt mich bis heute zu Tränen. Der Matthis, der flapsig sagte: „Mama, meine Haare sind angewachsen, Deine stehen auf der Fensterbank“ (da stand auf einer Halterung meine Perücke), der Matthis, der immer Rücksicht nahm, der verständnisvoll reagierte, der ohne zu Meckern alles so annahm und mitmachte: Absolut spitzenklasse!

Ich habe ein Buch über meine zweite Schwangerschaft geschrieben. Es heißt: „Babybauch und Chemoglatze“.

Ich habe dieses Buch u.a. geschrieben, um Frauen Mut zu machen, um ein wenig Aufklärung zu leisten und auch, um diese Geschichte besser verarbeiten zu können. Einige Zeit nach der Diagnose hatte ich plötzlich das Bedürfnis zu helfen. Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, zu helfen und ich habe das Gefühl, ich kann damit helfen. So spende ich z.B. für jedes verkaufte Buch (ob im Buchformat oder als eBook) 0,50 € an eine Krebshilfeorganisation meiner Wahl. Es kommen überwiegend Frauen auf mich zu, die unsicher sind, nochmal Fragen haben und ich berichte über meine Erfahrungen. Und manchen Frauen nehme ich weitestgehend die Ängste. Man ist halt so gesund wie man sich fühlt! Und das treibt mich an, weiterzumachen und offen mit dem Thema umzugehen.

Besucht mich gern auf meiner Homepage www.babybauchundchemoglatze.de, um euch ein Bild über mich und meine Arbeit machen zu können. Auch bei Facebook findet ihr mich (@babybauchundchemolglatze) und bei Instagram unter dem Namen “sandra_liebt_dieses_leben“.

Nun bin ich am Ende angelangt. Ich danke Euch, dass ihr euch Zeit genommen habt, den Gastbeitrag zu lesen. Ich wünsche euch allen ein glückliches und vor allem gesundes Leben!

Sandra Röpe

 

Liebe Sandra, danke für den Gastbeitrag bei uns. Du erzählst mutig Deine Geschichte und klärst auf – so soll es sein. Ganz viel Gesundheit und Glück auf deinem Weg wünscht dir das Leben nach Krebs!-Team!

*Namen der Kinder geändert

d

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